Egal durch welchen Ort der Zug kommt: Überall stehen die Menschen freudig erregt an der Straße. Tatsächlich, jetzt, jetzt ist es soweit: Eine prächtige, weißgoldene, von sechs silberbeschirrten Pferden gezogene Kutsche fährt ein. Grenzenloser Jubel brandet auf. Das Bürgermilitär präsentiert das Gewehr, Böllerschüsse krachen. Jeder versucht einen Blick ins Innere der Kutsche und deren „Star“ zu erhaschen. Es ist Marie Antoinette, Tochter der österreichischen Kaiserin Maria Theresa.
Die gerade mal 14-jährige Prinzessin ist auf Brautzug, auf dem Weg nach Frankreich, genauer gesagt zum Schloss Versailles, wo sie den späteren französischen König Ludwig XVI. heiraten wird. Marie ist nicht alleine. In ihrem Gefolge befinden sich rund 250 Personen, 57 Wagen und 450 Reit- und Zugpferde. 24 Tage dauert die 1500 Kilometer lange Reise. Darunter sieben Ruhetage. Ein Riesenspektakel.
Von Geisingen kommend durchquert sie auch den Schwarzwald, wobei unklar ist, ob sie damals in Donaueschingen wie vorgesehen im Schloss oder in Unadingen übernachtet hat. Der Brautzug erreicht Hinterzarten, wo Maria Antoinette im „Weißen Rössle“ Einkehr hält, ehe sie durchs unwirtliche Höllental in Richtung Freiburg weiterfährt. Eigens für sie war der Weg ausgebessert worden.
Im Hofgut Sternen, das damals noch als „Wirtshaus unter der Steig“ bekannt war, legt der Zug eine Rast ein, um dann über Kirchzarten und Ebnet am 4. Mai 1770 gegen 15 Uhr von mächtigen Böllerschüssen angekündigt unter Glockengeläut in Freiburg anzukommen, wo Marie Antoinette im Kageneck’schen Haus Quartier bezieht.
Teile des Schwarzwalds vorderösterreichisch
Freiburg, das in der Vergangenheit besonders unter den Auseinandersetzungen zwischen Österreich und Frankreich gelitten hatte, hatte sich für das historischer Ereignis groß herausgeputzt. Eigens für diesen Besuch wurde die Dreisam- und Schreiberstraße nördlich der Dreisam angelegt, da die Salzstraße zu klein war. Die Hauptgassen wurden neu gepflastert, die Häuser wurden geweißelt, anstelle der Drachenköpfen an den Dachrinnen wurden Rohre bis zur Erde angebracht. Hinzu kam die durchgehende Nummerierung der Häuser anstelle der Häusernamen.
Das Programm für die 14-Jährige ist vom allerfeinsten. Sogar die Turmspitze des Freiburger Münsters ist illuminiert. Dazu waren auf dem Turm Tausende von Tonschälchen, in die eine Brennpaste gefüllt war, aufgestellt worden. Ein Festgottesdienst im Münster gehört genauso zum Besuchsprogramm wie beispielsweise Tanzvorführungen, ein großer Festzug der Studenten, die Abnahme verschiedener Paraden und eine Besichtigung der nächtlich beleuchteten Ehrenpforten. Drei solcher riesigen Ehrenpforten aus Stuck und Holz waren für Marie Antoinette in der Stadt errichtet worden, die heute allerdings alle nicht mehr da sind.
Am 6. Mai verlässt der Brautzug Freiburg in Richtung Emmendingen, wo Marie Antoinette im Gasthaus „Krone-Post“ einkehrt, um dann über Kenzingen und Herbolzheim zum Kloster Schuttern zu gelangen, wo sie das letzte Mal auf deutschem Boden übernachtet. Die ganze Bevölkerung steht Spalier; als Marie Antoinette anrückt. Das Kloster war im Vorfeld mit einem riesigen Kostenaufwand saniert worden.
Höhepunkt der Feierlichkeiten ist die Illumination der gesamten Klosteranlage und ein prachtvolles Feuerwerk, das nicht nur alle Besucher zu Begeisterungsstürmen hinreißt, sondern auch Marie Antoinette aufs Höchste entzückt.
Am 7. Mai reist Marie Antoinette nach Kehl, der letzten Station, auf deutschem Boden. Auf einer unbewohnten Insel im Rhein wird die junge Braut dem französischem Hofstaat übergeben. Marie Antoinette verabschiedet ihr Wiener Gefolge und legt ihre Kleider im österreichischen Ostteil des eigens angelegten prunkvollen barocken Pavillons ab, bevor ihre neue Hofdame sie nackt in den französischen Westteil geleitet und dort neu einkleidet. So wird aus der Erzherzogin Maria Antonia auch äußerlich die Dauphine Marie Antoinette. Anschließend setzt sie ihre Reise nach Versailles fort.
Die Kosten für die Feierlichkeiten waren immens, wurden nicht von Wien getragen, sondern mussten vor Ort aufgebracht werden. Alleine die Übernachtung mit allen Umbaumaßnahmen im Kloster Schuttern dürfte, die heutigen Währung zugrunde gelegt, rund eine Million Euro verschlungen haben, in Freiburg dürften die Ausgaben sogar noch um ein Mehrfaches höher gewesen sein.
Für Marie Antoinette endet die Reise nach Frankreich übrigens letztlich mit dem Tod. 1789 bricht die Französischen Revolution aus. Die Gefühle, die der Königin hier entgegenschlagen, sind andere als bei ihrem Durchzug in Geisingen. Wegen ihres verschwenderischen Lebensstils ist sie beim einfachen Volk inzwischen eine der meist verachteten und verhassten Personen der höfischen Gesellschaft. 1793 wird erst ihr Mann, König Ludwig XVI., hingerichtet. Neun Monate später stirbt auch sie auf dem Schafott. Zuvor war ein Fluchtversuch der beiden gescheitert.