Foto: Archiv, Deutsches Uhrenmuseum
Illustration von Gustav Heine aus dem Jahr 1896.
Illustration von Gustav Heine aus dem Jahr 1896.
Foto: Archiv, Deutsches Uhrenmuseum

G’schichtle 110: Was Schwarzwälder Uhrmacher einst sonntags so machten

9. Dezember 2021
Es ist Sonntag. Schwer beladen stapfen die Männer und Frauen durch heftiges Schneetreiben. Sie sind in Furtwangen auf dem Weg zur Kirche. Stellt sich nur die Frage, warum sie so schwer beladen sind. Nun, für die cleveren Schwarzwälder Uhrmacher war der Kirchgang damals zugleich auch ein Geschäftsgang.

Doch der Reihe nach. Diesen Beitrag haben wir im Blog des Deutschen Uhrenmuseums entdeckt, der immer wieder mithochinteressanten Beiträgen aufwartet und den wir Ihnen nur empfehlen können. Sie finden ihn unter https://blog.deutsches-uhrenmuseum.de

Der Artikel „Sonntägliche Kirchgang zur Winterszeit im Schwarzwald wurde 1896 veröffentlicht. Die Details sind präzise beobachtet, denn der Zeichner kannte dieses Leben aus eigener Erfahrung. Das Bild erzählte auch viel über den Wandel der Uhrenherstellung.

In dem kleinen Schwarzwaldstädtchen Furtwangen kann man die winterlichen Verhältnisse gut nachvollziehen. Erst im vergangenen Winter hatte die Stadt einmal mit riesigen Schneemengen zu kämpfen. Die Stadt gilt als einer der schneereichsten Deutschlands.

Aber schauen wir wieder 125 Jahre zurück: Die Illustration zu dem Artikel stammt von dem Kunstmaler und Lithografen Gustav Heine. Sein Auskommen fand der gebürtige Furtwanger längst in der kunstsinnigen Stadt München. Der lesenswerte Artikel in der Monatszeitschrift „Das Buch für alle“ (1896/11, S. 260) wendet sich an die städtische Leserschaft; auch uns gibt er einen Einblick in die Schneewinter des Schwarzwalds:

Kampf mit dem harten Schwarzwaldwinter

“Weg und Steg sind verschneit, man muß sich durch den Schnee arbeiten, um weiter zu kommen, und sinkt oft bis an den Leib in die eisige Schicht. Es wäre jetzt unmöglich, sich zurechtzufinden, wenn nicht zu Anfang des Winters die kleinen Landwege durch eingeschlagene Stangen und Pfähle bezeichnet würden. Um rechtzeitig zur Kirche zu gelangen, muß man schon vor Sonnenaufgang aufbrechen und hinaus in die Eiswüste wandern.”
 

 “Der Kirchgang ist zugleich Geschäftsgang”

Fast alle, die hier durch das Schneetreiben stapfen, arbeiten in Heimarbeit für die Uhrenindustrie: „Die Uhrmacher sind Arbeiter der Fabrikanten geworden. Der Fabrikant oder Unternehmer in der Stadt sammelt die Einzelbestandteile der Uhren, die in den Bauernhäusern verfertigt werden. Sie stellen die Uhren zusammen und besorgen den Handel und Vertrieb. Der Kirchgang am Sonntag dient nun den ländlichen Arbeitern dazu, ihre in der Woche fertig gemachten Uhrenbestandteile zu dem Fabrikanten in der Stadt zu bringen, und wir sehen diese Kirchgänger auf unserem Bilde beladen mit großen Tragkörben, Kräzen (Kraxen) genannt, voll von Rädern, Gehäuseteilen, Zeigern, während andere in Säcken die auf Glas gemalten Zifferblätter, Glasschilder benannt, schleppen. Am Ziele angelangt, wird meist nach der Kirche das Geschäft erledigt, die Waren abgeliefert und der Lohn einkassiert“.

Aus Hausgewerblern werden Heimarbeiter

Die traditionelle Uhrenherstellung im Schwarzwald befand sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in tiefgreifendem Wandel. Zählten zeitgenössische Erhebungen in Furtwangen 1875 noch 77 selbständige Uhrmacher, die komplette Uhren in kleineren Werkstätten fertigten (Reuleaux 1875), so ist ihre Zahl 30 Jahre später auf 4 Uhrmacher geschrumpft (Bittmann 1905). Gleichzeitig arbeiteten 93 Männer und Frauen den neuentstandenen Fabriken zu. Ihre in Heimarbeit gefertigten Teile zum Massenprodukt Uhr wurden nur gering entgolten.

 Im Artikel liest sich diese Tatsache so: „Jetzt gönnt sich der arme Kirchgänger ein Schöppli Wi (Wein) und ein Bierelaibli (Birnenbrot), und dann geht es wieder durch den tiefen Schnee nach Hause. Dort angekommen erwartet den Heimgekehrten die Nudelsuppe und ein Stücklein Fleisch, das wird mit großem Behagen verzehrt, denn die Woche hindurch sieht der arme Schwarzwälder kein Fleisch auf seinem Tische.“

„Der Schwarzwälder ist lustig”

Ganz nebenbei widerspricht der Text dem falschen, aber immer noch populären Bild des Tüftlers, der abgewandt von der Welt in einsamen Höfen seiner Arbeit nachgeht: „der Schwarzwälder ist lustig, von fröhlicher Gemütsart und läßt sich so leicht durch diese Strapazen die Laune nicht verderben“. Diese Lesart hat Gustav Heine selbst vorgegeben,  die Menschen auf seiner Zeichnung sind sonntäglich guter Ding

Tourismusattraktion im Schwarzwald: das Deutsche Uhrenmuseum

Der Blog des Deutschen Uhrenmuseums ist mit seinen Beiträgen wirklich lesenswert. Sie sollten es aber nicht nur dabei belassen, sondern auch unbedingt das Museum in Furtwangen besuchen. Es ist nicht irgendein Museum, sondern das (!) Deutsche Uhrenmuseum. Ja, hier in der kleinen Stadt im Schwarzwald ist die größte Uhrensammlung Deutschlands daheim.

Seit fast 170 Jahren gehört sie zu den großen touristischen Attraktionen im Schwarzwald, wobei das Museum nicht nur eine beeindruckende Sammlung alter Schwarzwälder Holz- und Kuckucksuhren zeigt, sondern mit seiner schnörkellosen Präsentation das Schwarzwaldklischee tüchtig gegen den Strich bürstet. Sie bietet darüber hinaus einen enzyklopädischen Überblick über die Geschichte der Zeit, von der Sonnenuhr bis zur Atomuhr, mit besonderem Fokus auf handwerkliche und industrielle Uhrenherstellung im Schwarzwald. Auch den Quarz- und Atomuhren oder der koordinierten Weltzeit sind im Museum eigene Bereiche gewidmet, wie sie sich in keinem anderen Museum finden. Darüber hinaus gibt es in dem Museum immer wieder faszinierende Sonderausstellungen.

Alle Infos über das Museum unter www.deutsches-uhrenmuseum.de

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