Es war der Freitag vor dem Weißen Sonntag, als sich die aus 27 Schülern im Alter 12 bis 17 Jahren bestehende Klasse eines Londoner Gymnasiums morgens um 9 Uhr zusammen mit ihrem 27-jährigen Lehrer Kenneth Keast zur Bergtour aufbrach, die zu einem der Höhepunkte und ihres zehntägigen Schwarzwaldaufenthalts werden sollte. 20 Kilometer und 1000 Höhenmeter lagen vor ihnen. Eine anspruchsvolle Tour, die von der Jugendherberge Peterhof in Freiburg über den Schauinsland zur Jugendherberge Radschert in Todtnauberg führen sollte.
Der Herbergsvater in Freiburg versuchte vergeblich den Lehrer vom Aufbruch abzubringen, verwies auf einen bevorstehenden schweren Wintereinbruch. Die Gruppe ging, obwohl es bereits zu schneien begonnen hatte, dennoch los. Die Ausrüstung: völlig ungeeignet. Die Schüler brachen zum Teil sogar mit Sommerkleidung auf: leichte Schuhe, kurze Hosen, keine Kopfbedeckung. Als Proviant gab es für jeden zwei Brötchen und eine Orange.
Lehrer schlug Warnungen in den Wind
Nicht nur einmal wird die Gruppe unterwegs von Einheimischen zum Umkehren aufgefordert. Vergeblich! Auch das Angebot eines Postboten, die Gruppe nach Kappel zu begleiten, schlägt der Lehrer aus. Er will die Tour nicht abbrechen. Immer bergan, weiter, weiter, immer weiter. Es muss furchtbar gewesen sein. Die Kälte, der starke Sturm, der über ein Meter tiefe Neuschnee, dann noch dichter Nebel und die einbrechende Dunkelheit. Die Situation der Gruppe wird immer prekärer.
Im Schneesturm und Nebel verirrt
Am östlichen Kamm des Schauinslands verliert die Klasse völlig die Orientierung, irrt hilflos umher. Dabei hätte man von hier aus westwärts ohne weitere Schwierigkeiten zur Bergstation der Schauinslandbahn gelangen und sich damit in Sicherheit bringen können. Zu diesem Zeitpunkt sind einige Schüler schon so stark erschöpft, dass sie getragen werden müssen.
Das Läuten der Kirchenglocken
Gegen 18.30 Uhr dringt das abendliche Läuten der Kirche von Hofsgrund, , durch den Sturm und zeigt die Richtung in das Schwarzwalddorf an. Schüler, die noch die Kraft haben, folgen dem Klang. Unterhalb von 1100 Meter ist jetzt kein Nebel mehr. Jetzt sind die Lichter von Hofsgrund sind zu sehen. Auf dem Weg dahin erreichen die ersten etwa um 20 Uhr den Dobelhof. Auf ihre Meldung hin, dass noch weitere draußen seien, machen sich alle in Hofsgrund verfügbaren Männer mit Skiern sofort auf die Suche, kämpfen sich durch mannshohe Schneewehen.
Die Retter aus Hofsgrund
Nach und nach gelangen 15 der Schüler aus eigener Kraft nach Hofsgrund, andere halten bei den im Schnee bewusstlos zusammengebrochenen, Schulkameraden Wache und machen durch Hilferufe auf sich aufmerksam. Keast selbst harrt bei zwei bewusstlosen Schülern aus. Die Schüler werden mit Hornschlitten ins Dorf gebracht und ärztlich versorgt. Um 23.30 Uhr ist der Rettungseinsatz beendet. Für fünf junge Menschen kommt trotz des großartigen Einsatzes der Hofsgrunder jede Hilfe zu spät.
Zweitgrößtes Schneeunglück im Schwarzwald
Das Drama am Schauinsland war das zweitgrößte Schneeunglück im Schwarzwald. Mehr Tote gab es noch am 24. Februar 1844. Damals kamen in Neukirch bei Furtwangen 17 Menschen ums Leben, als eine Lawine einen Bauernhof unter sich begrub.
Siehe unter: G’schichtle 15: Lawine reißt 17 Menschen in den Tod
Extra:
Buchtipp: „Tod am Schauinsland“
Viele kennen das »Engländerdenkmal« am Schauinsland, aber nur wenige kennen den »Eaton-Gedenkstein« oder die »Elternplakette« an der Kirche in Hofsgrund. Drei »Erinnerungsdenkmale«, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einem Ereignis vom 17. April 1936 stehen, dem das Buch von Bernd Hainmüller nach zwanzig Jahren Recherche nachgeht.
Es berichtet über den Marsch der aus London stammenden Schüler durch den an jenem Tag tiefverschneiten Schwarzwald und seinen katastrophalen Folgen: dem Tod von fünf Klassenkameraden. Vor dem Hintergrund der britischen »Appeasement«-Politik und den Bestrebungen Hitler-Deutschlands nach einem Bündnis mit England, hatten weder Großbritannien noch Nazi-Deutschland irgendein Interesse an der Aufklärung des Falles von fahrlässiger Tötung.
Stattdessen nutzten ihn die Nationalsozialisten, um einen großen Verbrüderungsschwindel zwischen der englischen und der deutschen (Hitler)Jugend zu inszenieren.
Das Buch räumt auf mit den Legenden über ein »plötzliches Naturereignis«, dem die Schüler zum Opfer fielen, und wirft ein neues Licht auf das, was sich an diesem Tag tatsächlich am Schauinsland abgespielt hat.
Hainmüller, Bernd
Tod am Schauinsland
Das »Engländerunglück« am 17. April 1936 und seine Folgen. Eine historische Dokumentation
Preis: € 26,00, 226 Seiten, ISBN 978-3-7930-9973-4